Beispiel des Monats Juni 2025 für das ehrenamtliche Engagement Hochaltriger
„Die ganze Welt am Tisch“
Christina Heinrichs arbeitet bei der Passauer Tafel mit und als Sprachpatin in der Flüchtlingshilfe.

Weltoffenheit ist in Niederbayern nicht der gewöhnlichste Charakterzug. Eher erntet man dafür Kritik. Christina Heinrichs lässt sich davon nicht beeindrucken. Als Sprachpatin kümmert sich die 82-Jährige um Flüchtlingskinder und als „Tischpatin“ pflegt sie den Kontakt zu erwachsenen Studenten und Flüchtlinge aus allen Erdteilen. Außerdem kämpft sie für die Existenz der Passauer Tafel, die über manchen behördlichen Stein springen muss. Das langjährige und zeitaufwendige Engagement würdigte die Jury der Stiftung Pro Alter mit einem der zehn Preise von „Engagement 80 plus“.
Seit 23 Jahren arbeitet Christina Heinrichs in der „Passauer Tafel“, die vom Diözesan-Caritasverband getragen wird. Heinrichs organisiert die Sortierung der Lebensmittel und hilft, wie sie sagt, „als kleines Rädchen“ überall, wo etwas zu erledigen ist. Etwa 400 Berechtigungsausweise hat die Caritas ausgestellt. „Aber da hängen auch noch die Familien dran,“ erklärt die 82-Jährige. Und weil die Spenden von den Supermärkten nicht so zuverlässig kommen, reichen die Lebensmittel nicht immer. „Wir kaufen dann von Spendengeldern Mehl, Nudeln, Kaffee, Zucker und Konserven“, erzählt Christine Heinrichs.
Die letzten Monate war die Seniorin bei der Organisation mehr als üblich gefordert. Denn die hauptamtliche Leiterin der Tafel und mit ihr 15 weitere Helferinnen waren abgesprungen. Sie hatten genug vom Zwist mit der Gesundheitsbehörde, die Lebensmittel mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum für „verdorbene Ware“ hält. Selbst Himalaya-Salz – viele Millionen Jahre alt – sollte wegen der Haltbarkeitsfrist weggeworfen werden. Bei der Ausgabe selbst hilft die 82-Jährige nicht mehr mit. „Das war mir zu hektisch. Außerdem bin ich dann immer zu spät in den Kirchenchor gekommen.“
Ehrenamtlich war Christiane Heinrichs fast ihr ganzes Leben tätig. In jungen Jahren habe sie freiwillig in Heimen für schwerbehinderte Kinder geholfen. Durch ihre Arbeit als kaufmännische und praktische Arzthelferin in einer Klinik war der Weg zum Roten Kreuz nicht weit, für das sie viele Jahre Bereitschaftsdienste übernahm.
Um 1990, als viele Menschen die DDR verließen, hat sich Heinrichs um die Umsiedler gekümmert und ist so in die Flüchtlingshilfe hineingewachsen. Vielleicht hat sie viel Verständnis für Aussiedler und Flüchtlinge, weil sie als Donauschwäbin selbst die Heimat im früheren Jugoslawien verlassen musste. Aber auch in der Nachbarschaft habe es immer geheißen, „Klingel doch mal bei Heinrichs“, wenn jemand ein Problem hatte. Derzeit kümmert sie sich um einen über 90-jährigen Mann, der gestürzt ist. „Aber da komme ich an meine Grenzen, da muss eine andere Lösung her.“ Bloß: „Das Nein-Sagen habe ich in meinem ganzen Leben nicht gelernt.“
Auf der anderen Seite sage sie schon klar ihre Meinung, betont die 82-Jährige. Sie diskutiere viel über den Umgang mit Flüchtlingen und werbe an Infoständen um Verständnis für Seawatch. „Man kann doch Menschen nicht dafür bestrafen, dass sie andere vor dem Ertrinken im Mittelmeer retten“, sagt sie energisch. Diese Überzeugungsarbeit sei in Niederbayern – „da wählen viele die verkehrte Partei“ – kein Vergnügen. „Wie kann man nur so blöd sein?“, bekomme sie manchmal als Kommentar auf ihr Engagement im Verein „Gemeinsam Leben und Lernen in Europa“ zu hören.
Im ehemaligen Jugoslawien lernte Christina Heinrichs Ungarisch, Serbokroatisch und ein wenig Russisch. Seit auch ukrainische Kriegsflüchtlinge nach Passau kommen, kann sie ihre Kenntnisse als Tischpatin „Café Deutsch“. In den Treffpunkt des Vereins „Gemeinsam Leben“, wenige Meter neben dem grün schimmernden Inn gelegen, kommen Menschen aus vielen anderen Nationen, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern – aus Ägypten, Peru, Syrien. Diese Unterhaltungen machen der 82-Jährigen am meisten Spaß. Strahlend sagt sie: „Da habe ich die ganze Welt an meinem Tisch.“
